Neulich in einem meiner Rhetorik-Seminare saß ein junger Ingenieur, nennen wir ihn Tobias. Vor Beginn seiner Präsentation flüsterte er mir zu: „Ich bin total entspannt.“ Doch seine Hände zitterten, der Hals war rot, und die Stimme überschlug sich. Alle im Raum sahen sofort: Das passt nicht zusammen.
Was Tobias da erlebte, ist ein uraltes psychologisches Phänomen: kognitive Dissonanz. Sie tritt auf, wenn unser Verhalten und unsere Gedanken nicht übereinstimmen. Und genau dieses Spannungsgefühl macht uns unruhig – oder hellwach.
Viele Redner fürchten diese innere Zerrissenheit. Doch wer versteht, wie kognitive Dissonanz funktioniert, kann sie bewusst einsetzen, um Menschen zu fesseln. Denn das Publikum erlebt Dissonanz ebenfalls. Wenn Erwartungen gebrochen werden oder eine Aussage irritiert, entsteht ein kurzer Schockmoment. Und genau dieser Moment macht aufmerksam.
Wie kann man das nutzen? Erstens mit provokanten Thesen. Statt brav zu starten mit „Vielen Dank, dass Sie da sind“, beginne so: „Die meisten Präsentationen sind reine Zeitverschwendung.“ Sofort spürt das Publikum Widerspruch – und will wissen, wie du das rechtfertigst.
Zweitens mit gebrochenen Erwartungen im Storytelling. Erzähle eine Geschichte, die scheinbar auf ein Happy End hinausläuft, und dann drehst du die Handlung. Dieser Bruch erzeugt Spannung – und dein Publikum bleibt dabei, bis die Auflösung kommt.
Drittens mit kleinen Zustimmungen. Frage: „Sind wir uns einig, dass niemand gerne in endlosen Meetings sitzt?“ Wer da nickt, hat sich innerlich verpflichtet. Widerspricht er später deiner Hauptaussage, würde das einen unangenehmen Widerspruch erzeugen. Die Folge: Die Wahrscheinlichkeit, dass er mitgeht, steigt.
Warum wirkt das so stark? Menschen wollen konsistent sein – vor allem in der Öffentlichkeit. Kognitive Dissonanz erzeugt Druck, diesen Widerspruch schnell wieder aufzulösen. Als Redner steuerst du damit die Aufmerksamkeit, die Spannung und oft sogar die Überzeugungskraft deiner Botschaft. Und ja: Auch Humor lebt davon. Jede Pointe bricht eine Erwartung, löst kurz Dissonanz aus – und die Auflösung sorgt fürs Lachen.
Mein Tipp: Wenn du das nächste Mal sprichst, plane bewusst einen Moment der Irritation ein. Eine provokante Frage, eine überraschende Wendung in deiner Geschichte oder eine steile These, die du später einlöst. So bleibt deine Rede nicht nur im Kopf, sondern auch im Bauch deines Publikums hängen.
Mich interessiert: Wann hast du zuletzt in einer Rede oder Präsentation gespürt, dass dir ein Widerspruch die volle Aufmerksamkeit gegeben hat?